In der Neckarsteige
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Mein Name ist Hölderlin, Johann, Christian, Friedrich Hölderlin. Man sagt mir nach, ich sei neben Schiller und Goethe einer der größten Lyriker meiner Zeit gewesen. Überdies war ich auch der erste moderne Autor, sagt man.
Ich lade Sie ein, mit mir einen Spaziergang durch meine Heimatstadt Nürtingen zu machen. Wir gehen die Neckarsteige hoch, sie war jahrhundertelang Nürtingens Hauptstraße. In der Neckarsteige 36 wohnte von Februar 1870 bis März 1871 Eduard Mörike. Er kannte Nürtingen von Kindheit an gut: „Der Ort ist mir halb heimatlich, meine Mutter lebte längere Zeit als Witwe dort, und ich selbst an verschiedenen Punkten der Gegend, die durch die nahe Alb ihre besonderen Reize hat. … Die Stadt besitzt vorzüglich gute Lehranstalten, und eine Eisenbahn, auf welcher man in anderthalb Stunden nach Stuttgart, in zweien nach Tübingen fährt.“
Wir kommen nun zur Neckarsteige 1, zum Hölderlinhaus, dem Schweizerhof, für mich „der Mutter Haus“, das meine Familie 24 Jahre lang bewohnte, von 1774 bis 1798. Der Tod war auch hier ein ständiger Begleiter in den fünf Jahren der zweiten Ehe meiner Mutter. Als ich neun war, starb der geliebte Stiefvater.
Meinen Schulweg von hier zur Lateinschule kann man heute noch gehen. Während meiner Kindheit und Jugend stand mir nicht nur die Umgebung Nürtingens, sondern auch die noch von der mittelalterlichen Stadtmauer umgebene Stadt zur Erkundung frei.
Die nächsten Stationen meiner schulischen Laufbahn waren die evangelischen Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn. In diesen jeweils zwei Jahre dauernden Aufenthalten war es selbstverständlich, dass die Ferien zu Hause in Nürtingen verbracht wurden, ebenso während des anschließenden Studiums in Tübingen. Auch ein paar Kuraufenthalte zu Hause habe ich genossen: so auch 1789: „Erlaubniß. Werde also an nemlichem Tage in der Chaise zurükkehren. Sie sehen, liebste Mamma, meine körperliche, und Seelenumstände sind verstimmt in dieser Lage; Sie können schließen, daß der immer wärende Verdruß, die Einschränkung, die ungesunde Luft, die schlechte Kost, meinen Körper vieleicht früher entkräftet, als in einer freiern Lage. Sie kennen mein Temperament, das sich eben weil es Temperament ist, schlechterdings nicht verläugnen läßt, wie es so wenig für Mishandlungen, für Druk und Verachtung taugt. O liebe Mamma! mein seeliger Vater pflegte ja so oft zu sagen »seine Universitätsjahre seien seine vergnügtesten gewesen« soll ich einst sagen müssen »meine Universitätsjare verbitterten mir das Leben auf immer«. …
Hier der lieben Rike das versprochene Liedchen. Für das überschikte danke ich gehorsamst. Meine Wäsche bring ich mit.“
Schwabens Mägdelein
So lieb, wie Schwabens Mägdelein
Giebts keine weit und breit
Die Engel in dem Himmel freu’n
Sich ihrer Herzlichkeit.
Mir war noch immer wohl zu Sinn
So lang‘ ich bei ihr war
Bei meiner Herzenskönigin
Im blonden Lokenhaar.
Sie blikt des lieben Herrgotts Welt
So traut so freundlich an
Und geht gerad und unverstellt
Den Lebensweg hinan.
Die Blumen wachsen sichtbarlich
Wenn sie das Land begießt
Es beuget Birk‘ und Erle sich
Wenn sie den Hain begrüßt.
Entgegen hüpft ihr jedes Kind
Und schmiegt sich traulich an
Die Mütter in dem Dorfe sind
Ihr sonders zugethan.
Es freun sich alle, fern und nah,
Die meine Holdin sehn
Du lieber Gott! wie sollt ich da
Die süße Minne schmähn.
Nicht minder lob ich alle mir
Die Schwabenmägdelein
Und tracht im Herzen für und für
Mich ihrer Gunst zu freun.
Und zieh‘ ich einst um Ruhmsgewinn
In Helm und Harnisch aus –
Komt ihr, ihr Lieben, mir in Sinn,
Straks kehrt der Held nach Haus.
Und trauft mir einst von Honigseim
Das Land Arabia,
So ruft: Herr Schwabe, kom er heim!
Flugs bin ich wieder da.
Weß Herz die Holden nicht verehrt
Der höre meinen Hohn
Er ist des Vaterlands nicht werth,
Er ist kein Schwabensohn.
Er schmähe mir die Minne nicht
Die Minne treu und rein;
Es spricht der Thor: die Rose sticht
Laß Rose Rose sein. Friedrich Hölderlin, 1789
1792, kurz vor ihrer Heirat, schrieb ich an meine Schwester: „Ach! ich sehne mich recht nach den Herbstferien, wie wir uns noch beisammen freuen wollen! An die Trennung wollen wir nicht denken, bis es sein muß. Du wirst bleiben, wie Du immer warst. Und Entfernung trennt ja die Herzen nicht.
Meinen kleinen Liebling, das Eichhörnchen hätt‘ ich freilich auch gerne wiedergesehen. Es thut dem Herzen so weh, wenn etwas in der Natur untergeht! Ich will ihm eine Grabschrift machen, ich gesteh‘ es, ich bin kindisch wehmütig geworden über den Tod des guten Thierchens. Es freut mich, daß der l. Karl seinen Überrest so viel möglich aufbewahrt.“
Nicht nur meine Briefe, sondern auch die in der Maulbronner Zeit entstandenen und in Nürtingen im Herbst 1788 ins Reine übertragenen Gedichte enthalten viele biografische Hinweise. In der Ausgabeniste meiner Mutter kann man sogar nachlesen, was sie für mich ausgegeben hat, für private Lektionen, Musikunterricht etc. Auch solche Details, ob ich mit der Kutsche oder zu Pferd nach Nürtingen kam.
Was ich nach dem Studium machen wollte war etwas anderes als meine Mutter ersehnte. Aus Tübingen schrieb ich ihr im September 1793: „Kann ich eine gute Hofmeisterstelle bekommen, so bescheid` ich mich gerne so lange, mit meinem Jenaischen Project, bis ich vieleicht selbst (wenigstens) die Hälfte des Erforderlichen zusammen gehofmeistert – u. zusammen geschrieben habe. Freilich ists eine ziemlich unfeine Rolle, die ich zu Nürtingen spielen werde, wenn ich mich, Ihrem gütigen Vorschlag nach, bis auf Weiteres zu Hause aufhalten sollte. Ist man auch nicht untätig, so sagen die Leute doch, er verzehrt seiner Mutter das Brod, und nüzt ihr auf der Welt nichts. Auch muß ich fürchten, wenn ich zu lange keinen Platz bekomme, das Konsistorium möchte mich bei`m Kopf kriegen, und mich auf irgend eine Vikariatstelle zu einem Pfarrer hinzwingen, der keinen freiwilligen Vikar bekommen kann.“
Nach dem Studium war es nicht ungewöhnlich, eine Stelle als Hauslehrer und Erzieher in privaten Haushalten anzunehmen. Ich hatte mich durchgesetzt und erhielt meine erste Anstellung 1794 bei Charlotte von Kalb in Waltershausen. Nach dieser ersten Hofmeisterstelle und einem kurzen Aufenthalt in Jena kehrte ich im Juni 1795 nach Nürtingen zurück. Das halbe Jahr verbrachte ich hier ungeduldig, ich hatte eine Hauslehrerstelle in Frankfurt in Aussicht und wartete auf Nachricht. Briefe an Freunde und Friedrich Schiller spiegeln meine Seelenlage. „Ich bin überhaupt wie ein hohler Hafen, seit ich wieder hier bin, und da mag ich nicht gerne einen Ton von mir geben.“ Mein Bruder Karl Gock half mir bei der Abschrift meines Briefromans Hyperion. Dieses Manuskript schickte ich dem Verleger Cotta, der jedoch um Kürzungen bat.
An meinen Bruder schrieb ich von der Hauslehrerstelle in Frankfurt am 11. Februar 1796: „Weist du nichts Neues von meinem Roman? Hat Schiller noch nichts an mich geschikt?
Sei doch so gut, mir meine Flöte, sicher gepakt, zu schiken. Sie muß noch in Nürtingen liegen.
Was macht denn unser guter Fripon? Das Thier liegt mir sonderbar am Herzen, das macht, daß er mir Freude machte in Stunden, wo ich über die Menschen trauerte. Es ist ein herzlich tröstend Gefühl, die Verwandtschaft, in der wir stehen mit der weiten frohen Natur, zu ahnden und so viel möglich, zu verstehen.“ War das nicht eine besondere Liebeserklärung an unseren Hund Fripon?
Manchmal nahm meine Mutter die von mir veröffentlichten Gedichte allzu wörtlich: „Das Gedichtchen hätte Sie nicht beunruhigen sollen, theuerste Mutter! Es sollte nichts weiter heißen, als wie sehr ich wünsche einmal eine ruhige Zeit zu haben, um das zu erfüllen, wozu mich die Natur bestimmt zu haben schien. Überhaupt, liebste Mutter! Muß ich Sie bitten, nicht alles für strengen Ernst zu nehmen, was Sie von mir lesen. Der Dichter muß, wenn er seine kleine Welt darstellen will, die Schöpfung nachahmen, wo nicht jedes Einzelne vollkommen ist, und wo Gott reegnen läßt auf Gute und Böse und Gerechte und Ungerechte; er muß oft etwas Unwahres und Widersprechendes sagen, das sich aber natürlich im Ganzen, worinn es als etwas Vergängliches gesagt ist, in Wahrheit und Harmonie auflösen muß, und so wie der Reegenbogen nur schön ist nach dem Gewitter, so tritt auch im Gedichte das Wahre und Harmonische aus dem Falschen und aus dem Irrtum und Leiden nur desto schöner und erfreulicher hervor.“
An die Parzen
Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Daß williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe.
Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heilge, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,
Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinab geleitet; Einmal
Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht. Friedrich Hölderlin, 1797
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