Hölderlin-Nürtingen

Projekt Hölderlin-Ring 2016: Navid Kermani

Hölderlin-Ring 2016: Navid Kerman

Laudatio von Ingrid Dolde anlässlich der Verleihung des Hölderlin-Rings an Navid Kermani am 22.11.2016

Sehr verehrter Herr Kermani, Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, liebe Mitwirkende!
Ein herzliches Willkommen zu unserer sechsten Hölderlin-Ringverleihung.
Meinen ersten Dank möchte ich der Stadt Nürtingen und dem Hausherrn, Herrn Oberbürgermeister Heirich aussprechen, dass diese gemeinsame Veranstaltung ermöglicht wurde.
Herzlichen Dank den Schülerinnen und Schülern des Hölderlin-Gymnasiums, die mit ihrem künstlerischen Beiträgen der heutigen Feier den festlichen Rahmen geben.
Danke sagen möchte ich auch dem Nürtinger Goldschmied Jürgen Gairing, dem Initiator der Verleihung, Designer und Stifter des Hölderlin-Rings.
„Der Hölderlin-Nürtingen e.V. verleiht den Ring an Persönlichkeiten, die sich um die Person und das Werk Friedrich Hölderlins besonders verdient gemacht haben. Er wird Personen verliehen, die die Erinnerung an Hölderlin wach halten, denen sein künstlerisches Erbe ein Anliegen und eine Herausforderung ist, und die mitwirken an der Rezeption seiner Werke.“ So die offizielle Begründung zur Ring-Verleihung.

Lieber Herr Kermani,
es ist uns eine besondere Ehre, Ihnen heute den Nürtinger Hölderlin-Ring verleihen zu dürfen. Seien Sie willkommen in unserem Teck benachbarten Tal, in unseren biederen Hütten der Freundschaft; wo Hölderlins bekannt blühende Wege sind, sein Land, die schönen Täler des Neckars mit seinen Wiesen, lieblichen Uferweiden, und vor allem seinen Pappeln, der geliebte Strom. In Nürtingen steht seiner Mutter Haus, es ist die Stimme dieser Stadt und seiner Mutter, die er erinnerte, hier regte sich ihm lang Gelerntes auf. Wir haben in Nürtingen auch das Geburtshaus der modernen Lyrik, von hier hat sein berühmtes Gedicht „Hälfte des Lebens“, das gerne als Beginn der modernen Lyrik apostrophiert wird, von hier aus hat es seinen Weg in die Welt genommen.
Es sind Hölderlins authentische Orte, die wir noch besuchen können, und es sind seine Gedichte, die uns diese Orte in ein besonderes Licht rücken. All die holden Hügel, das wogende Gebirg’, die Pfade des Wanderers, sie sind noch da.
Ich habe heute die Ehre, die Laudatio zu halten, sie wird kurz sein, denn Sie alle sind gekommen, um Herrn Kermani selber zu hören, zu hören was er zu sagen hat.
Deshalb eine knappe Rede, eingebettet in drei Zitate: eines von Jean Paul und zwei von Friedrich Hölderlin.
Das erste Zitat von Jean Paul: „Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde; Briefe sind nur dünnere Bücher für die Welt.“
Und was für dicke Briefe Sie, lieber Herr Kermani an uns Leser-Freunde geschrieben haben!
Der Schriftsteller, Publizist und habilitierten Orientalist Navid Kermani hat zwei mit einander verwobene, aber auch jedes für sich stehende Bücher, respektive dickere Briefe, geschrieben, in denen Friedrich Hölderlin und sein Werk nicht nur am Rande vorkommen. Das alleine wäre schon eine Auszeichnung wert!
Zunächst die Frankfurter Poetikvorlesung des Jahres 2010: Über den Zufall. Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe. Navid Kermani stellt die Werke von Friedrich Hölderlin und Jean Paul ins Zentrum seiner Betrachtungen und setzt sich an ihrem Beispiel sowie im Hinblick auf sein eigenes Schaffen mit dem Erzählen vom Zufall und den Zufälligkeiten des Erzählens auseinander.
Und dann sein 2011 erschienener Roman Dein Name. Navid Kermani schreibt über alles, was es zu wissen gibt über sein Leben und das Leben überhaupt: die Gegenwart und die Vergangenheit seiner Familie, die Erinnerung an gestorbene Freunde und die mitreißende Lektüre Jean Pauls und vor allem Friedrich Hölderlins.
Und nun kommt schon das zweite Zitat: „Gut ist eine Gespräch und zu sagen des Herzens Meinung.“ Diese Zeile aus Friedrich Hölderlins Gedicht Andenken scheint mir wie eine Grundhaltung, wie ein Leitmotiv Ihres Werks: Sie suchen das Gespräch und Sie sagen des Herzens Meinung.
Das klingt in den beiden Werken mal eher distanziert, skeptisch, so spricht man nicht über Liebe, Hölderlin!
„Laß mich mit deinem Griechengedärm in Frieden, Hölderlin! schreit Navid Kermani vielleicht auch deshalb so laut, weil er sich vom Leser beobachtet wähnt, und feuert das Schnäppchen in die Ecke, Band fünf, um genau zu sein. Dabei hätte er nur aufmerksamer lesen müssen, um das Programm des Romans zu finden, den ich schreibe.“
„Wir bedauern die Todten, als fühlten sie den Tod, und die Todten haben doch Frieden. Aber das, das ist der Schmerz, dem keiner gleichkömmt, das ist unaufhörliches Gefühl der gänzlichen Zernichtung, wenn unser Leben seine Bedeutung verliert, wenn so das Herz sich sagt, du muß hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur daß du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, daß sie so muthlos ist!“
Das klingt in den beiden Werken aber auch euphorisch: „Besser zu sterben, weil man lebte, als zu leben, weil man nie gelebt – das ist sufischer O-Ton, 10. Jahrhundert, und klingt zweihundert Jahre nach Hölderlin zugleich wie eine Fanfare des Rock ‚n’ Roll.“
Möge uns beschieden sein, noch viele Hölderlin-Ringe zu verleihen, als sichtbares Zeichen, dass das Gespräch unter Freunden (Lesern, den zeitgenössischen und den künftigen) nicht verstummt ist, dass wir des Herzens Meinung noch offen und frei sagen können. Kunst und vor allem Literatur, ist für eine Gesellschaft identitätsstiftend: Es braucht die gemeinsame Lektüre in Schule und in der Gesellschaft, um sich zu vergegenwärtigen woher man kommt, wo man selbst steht und im besten Fall wohin wir zukünftig streben. Und dazu braucht es auch das Gespräch, den offenen Dialog!
Und nun das dritte Zitat, das als Leitmotiv für die Verleihung des Hölderlin-Rings stehen soll, das ich Ihnen allen mitgeben möchte: „Komm ins Offene, Freund! dass ein Eignes wir suchen, soweit es auch ist.“
Damit darf ich Sie, Herr Kermani, zur Verleihung des Hölderlin-Rings bitten.

 

Der Träger des Hölderlin-Rings 2016: Navid Kermani

 

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